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Stellungnahme zum Haushaltsplanentwurf 2024

Wir leben über unsere Verhältnisse, 
Christoph Boll, Fraktionsvorsitzender der UWG IFI

Liebe Kolleginnen und Kollegen des Stadtrates, geschätzte Damen und Herren, 
sehr geehrter Bürgermeister Dr. Schrameyer

Beim Neujahrsempfang am vergangenen Freitag habe ich etwas gelernt. Die Verleihung der Stadtrechte an Ibbenbüren beruht auf dem Bemühen des Staates, seine Finanzen in Ordnung zu bringen. Dem Bürger in die Tasche zu greifen, wenn die eigenen Kassen leer sind, daran hat sich in den vergangenen 300 Jahren nichts geändert.

Zumindest eines aber war zwischenzeitlich anders. Denn es war einmal eine Zeit, in der wurden Haushaltsüberschüsse erwirtschaftet, die sogenannte freie Spitze. Auch wenn ich „Es war einmal“ gesagt habe, ist das nicht der Anfang einer Geschichte aus Grimms Märchen. Es ist vielmehr die Erinnerung an verantwortungsvolles finanzpolitisches Handeln. Ich erwähne das nur für all jene, die den Begriff „Freie Spitze“ nicht einmal mehr vom Hörensagen kennen und deshalb ein strukturelles Haushaltsdefizit und eine immer weiter steigende Verschuldung für normal halten. Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, die prekäre Wirtschaftslage Ibbenbürens ist nicht gottgegeben.

Bund und Land, Landschaftsverband und Kreis – auf sie alle kann ich schimpfen. Das mag seelische Befreiung geben und ist teilweise auch berechtigt. Da werden Städten und Gemeinden immer neue Aufgaben aufgebürdet. Aber deren Finanzausstattung und die Kriteriengewichtung im Gemeindefinanzierungsgesetzt bleiben unzureichend oder ungerecht, wie immer man es formulieren will. Das ist sie jedoch schon lange. Aber, den Seitenhieb kann ich mir als UWGler dann doch nicht verkneifen, meine lieben Ratskolleginnen und -kollegen, da sind sich ihre Parteifreunde von SPD, CDU, Grünen und FDP sehr einig, daran nicht zu rühren. Deshalb ist es längst überfällig, sich vor Ort darauf einzustellen. Weil das allenfalls unzureichend geschieht, ist unsere Situation – zumindest auch – selbst- oder muss ich sagen bürgermeistergemacht.

Was unserer Stadt fehlt, ist ein ordnungspolitisches Wertesystem und ein klarer finanzpolitischer Kompass. So hören wir seit einigen Jahren regelmäßig von der drohenden Haushaltssicherung, die dann aber wie durch ein Wunder doch nicht eintritt. Wir finden hier ein paar Milliönchen und dort ein paar Milliönchen und taumeln von Jahr zu Jahr weiter. So nutzt sich die Drohung mit der drohenden Haushaltssicherung ab. Denn wer regelmäßig „Feuer! Feuer!“ ruft, dem wird schwerlich geglaubt, wenn es wirklich brennt.

Wir stehen also schon lange am Abgrund. Nun sind wir einen Schritt weiter. Das führt zu einer grotesken und einmaligen Situation. Zur Erinnerung: Bereits mit dem vergangenen Haushalt haben wir deutliche Steuererhöhungen in zwei Stufen beschlossen. Die zweite Stufe sollte in diesem Jahr, also 2024, greifen. Auf diese bereits beschlossenen Erhöhungen wird nun weiter massiv aufgesattelt, noch bevor sie quasi in Kraft getreten sind.

Ausgangspunkt sind Gespräche in einem Arbeitskreis aus Fraktionsvorsitzenden und Verwaltungsvorstand über Verbesserungsmöglichkeiten, um die wieder mal drohende Haushaltssicherung zu vermeiden.

Jeder Bereich der Stadtverwaltung hat aus seiner Sicht aufgezeigt, wo kurz-, mittel- und langfristig gespart oder mehr Geld eingenommen werden kann. Da ging es vom Entfall des Frikadellenessens nach den Ratssitzungen – Einsparung 3200 Euro – bis hin eben zur Erhöhung und Einführung neuer Steuern in Millionenhöhe. Leider lag der Schwerpunkt nicht auf dem Sparen, sondern darauf, wie und wo man dem Bürger in die Tasche greift. Das erinnert an den Mitarbeiter, der zu seinem Chef kommt und mehr Geld haben möchte mit der Begründung, der Unterhalt der beiden Autos, der Urlaub auf Malle, das regelmäßige Essengehen und vieles andere würden immer teurer. – Finde den Fehler.

Die Verwaltung verstand die 143 Maßnahmen ausdrücklich nicht als Vorschlagsliste, sondern als das Aufzeigen von Möglichkeiten. Zwischenzeitlich haben mich leise Zweifel beschlichen, ob die Liste nicht doch ein wenig interessengesteuert war. Sonst hätten sich doch dort auch Optionen wie der Verzicht auf einen Dienstwagen zum persönlichen Gebrauch für den Bürgermeister oder zumindest die Wahl eines preiswerteren Modells sowie die Streichung oder zumindest Kürzung des Zuschusses für den Betriebsausflug der städtischen Mitarbeiter oder das Pensionärstreffen finden können. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Wir wollen das nicht ändern und beides rettet den Etat ebenso wenig wie der Wegfall des Frikadellenessens. Aber man hätte ja mal drüber sprechen können. Nur so, als wertfreies Aufzeigen von Möglichkeiten.

Sei’s drum. Ich danke an dieser Stelle allen in der Stadtverwaltung und in den Ratsfraktionen, die sich an diesem mühevollen Prozess beteiligt haben und bereits an dieser Stelle all jenen Mitarbeitern im Rathaus, die den Etatentwurf ermöglicht haben. Die Konsoliodierungsgespräche waren lange und teils auch ermüdende Beratungen. Aber es war ein konstruktives, ein gutes Miteinander. Es gab einiges was wir einmütig oder mehrheitlich verworfen haben. Anderes wird mit Verabschiedung des Haushalts 2024 umgesetzt oder auf der Basis von Vorlagen im Laufe des Jahres in den Fachausschüssen diskutiert.

Reicht das aus als dauerhafte strukturelle Haushaltsverbesserung? Hätten wir gemeinsam oder jeder einzelne an der einen oder anderen Stelle über den eigenen Schatten bzw. die parteipolitische Doktrin springen müssen? Ich weiß es nicht, befürchte aber, dass es nicht ausreicht. Wenn ich die Äußerungen aus der Verwaltung richtig deute, wird es im Laufe des Jahres, spätestens vor der nächsten Haushaltsberatung neue Diskussionen über die Neueinführung oder Erhöhung von Steuern geben. Was ich aber weiß, ist, dass das, was wir so euphemistisch Konsolidierungsmaßnahmen nennen, zu 90 Prozent der Bürger zu zahlen hat – mal direkt pekuniär, mal indirekt durch Leistungsverschlechterungen.

Denn den Letzten beißen die Hunde. Und die Letzten, das sind die Bürger. Denen ist übrigens völlig egal, wer ihnen das Geld abnimmt: Bund, Land, LWL, Kreis oder Stadt – der Bürger steht als Gebühren- und Steuerzahler am Ende der Nahrungskette und muss in jedem Fall bezahlen.

Ich habe eingangs vom fehlenden finanzpolitischen Kompass gesprochen. Der muss genordet sein nach der Norm „Ich kann nicht dauerhaft mehr ausgeben als ich einnehme“. So aber irren wir umher im Nebel multipler Herausforderungen und Probleme, die es unbestritten gibt. Es geht also um die eigene Verantwortlichkeit, um das, was wir direkt beeinflussen können. Die Haushaltszahlen sprechen eine klare, nüchterne und emotionslose Sprache: Noch 2012 waren Erträge und Ausgaben nahezu im Gleichgewicht. Seither geht die Schere immer weiter auseinander. Die Lücke wird immer größer. Die Einnahmen steigen kontinuierlich, die Gewerbesteuer-Zahlungen sprudeln ohne Ende, haben sich auf zuletzt 48 Millionen Euro nahezu verdreifacht. Aber es reicht nie.

Meine Damen und Herren, wir leben nicht nur in einer schwierigen Zeit – ich nenne nur Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Nahost-Konflikt -, sondern auch seit geraumer Zeit deutlich über unsere Verhältnisse. Es fehlt einfach am Sparwillen. Klar und beispielhaft formuliert: Die kalkulierten 750.000 Euro Eigenanteil an der Umgestaltung des Rathausumfeldes, unter dem Strich werden es wohl 1 Million, können wir uns einfach nicht mehr leisten.

Nun könnte ich zusätzlich auf Fehlentscheidungen der Vergangenheit verweisen und die Verantwortlichkeit des Bürgermeisters als Chef der Verwaltung und der Ratsfraktionen, die die entsprechenden Haushalte verabschiedet haben. Ich mache das an dieser Stelle nur in einem Punkt: Das Verschleppen der Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf LED hat uns viel Geld gekostet.

Ein grundsätzliches Problem ist die Unart von Schattenhaushalten durch das Auslagern von Aufgaben. Die Debatte um den Bau eines neuen Bades hat gezeigt, wohin das führt. Da hieß es plötzlich, der Rat habe darüber, welche Art Bad gebaut wird, gar nicht zu beraten, geschweige denn zu entscheiden. Das sei Sache der Bäder GmbH. Der Rat habe nur das nötige Geld bereitzustellen. Ganz ähnlich läuft das bei Stadtmarketing und Stadtwerken. So werden maßgebliche Themen der Stadtentwicklung der öffentlichen Diskussion entzogen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das dürfen wir nicht zulassen. Diese Intransparenz ist Aushöhlung der Demokratie.

Mit der beeindruckenden Demonstration auf dem Neumarkt haben wir gemeinsam mit vielen Menschen unserer Stadt gemeinsam ein parteiübergreifendes Zeichen zur Verteidigung dieser Demokratie gesetzt. Die UWG IFI stellt sich dieser Verantwortung und dem Auftrag, die Stadt konstruktiv zu gestalten. Wir benennen aber auch klar Ursachen und Verantwortlichkeiten für Fehlentwicklungen und die städtischen Finanzprobleme. Zugleich bieten wir ausdrücklich unsere konstruktive Mitwirkung zu deren Lösung an. Denn Ibbenbüren soll auch weiterhin eine lebenswerte Stadt zum Wohnen und Arbeiten sein, ein attraktiver Unternehmensstandort. Wir wollen ein offenes Ohr haben für die Bedürfnisse von Poahlbürgern und Neuankömmlingen mit einem liberalen und weltoffenen Klima und einer sozialen Bürgergesellschaft. Sie finden in uns auch jederzeit einen aktiven Mitstreiter für die Anliegen unserer Jugend, für eine zeitgemäße und zukunftsgerichtete Schullandschaft, moderne Ausbildungs- und Arbeitsplätze.

In diesem Zusammenhang wünschen wir uns die Einführung des gebundenen Ganztags auch an den beiden Gymnasien und der städtischen Anne-Frank-Realschule. Die wesentlichen baulichen Voraussetzungen haben wir mit großem Aufwand geschaffen. Für die UWG IFI ist für die weitere Entwicklung dieses Themas der Elternwille entscheidend. Kommt es aber nicht zum gebundenen Ganztag, müssen wir bei Investitionsentscheidungen in Schulen künftig vielleicht auch in Anschlag bringen, wie sich die schulinterne Organisation auf den städtischen Haushalt auswirkt.

 

Wir stehen vor weiteren großen Herausforderungen:

Drohende Zinslasten und allgemeine Kostensteigerungen zwingen uns, das Investitionsprogramm auf den Prüfstand zu stellen und Prioritäten zu setzen.

Dringend gilt es ein Ausbluten der Innenstadt zu verhindern. Wir mahnen noch einmal die Erstellung eines Handlungskonzeptes an, das diesen Prozess über den Einzelhandel hinaus steuert und gestaltet.

Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für Bürger mit durchschnittlichem Einkommen, auch und gerade zentrumsnah und jenseits des klassischen Einfamilienhauses, ist eine weitere Notwendigkeit.

Wir müssen Armut bekämpfen, denn sie hat auch in Ibbenbüren ein Gesicht, nein viele, zu viele Gesichter. Gehen Sie einmal zur Tafel, dann sehen Sie einige dieser Gesichter.

Wir erwarten endlich den Abschluss der Friedhofsleitplanung und damit verbunden den von uns beantragten Bau eines Kolumbariums.

Neben den Aufgaben gibt es zugleich Lichtblicke und Gründe für Hoffnung und Zuversicht:

Der Bau des zweiten Abschnittes von „Wohnen am Aasee“ hat begonnen. Das ist ein gutes Signal.

Gewerbeansiedlungen gelingen ebenso wie die Konversion des ehemaligen Zechen- und Kraftwerksgeländes mit der Perspektive auf einen Hochschulstandort sowie ein Gründer- und Innovationszentrum. Diese Hoffnung gilt zunächst weiterhin. Auch wenn die in jüngster Zeit aufgekommene Diskussion über die Realisierung des Standortes zum Batterie-Recycling mich Böses ahnen lässt. Das Thema zeigt übrigens ein weiteres Übel: Es dauert viel zu lange von der Formulierung eines Vorhabens bis zur Umsetzung.

In die von uns angeregte Weiterentwicklung des Neumarktes kommt Bewegung. Hoffentlich wird die Neugestaltung nicht ebenso tot gerechnet wie die von meiner Fraktion beantragte Ampelquerung über die Gravenhorster Straße.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Kleinigkeiten, die in großem politischen Konsens und dank vieler engagierter Mitarbeiter in der Verwaltung Ibbenbüren voranbringen.

Zusammengefasst: Eine Haushaltskonsolidierung tut weh, aber sie ist unausweichlich. Viele Einzelmaßnahmen tragen wir ausdrücklich mit. Neben den vielen Belastungen möchte unsere Fraktion den Bürgern auch punktuell Entlastungen schaffen. So hätte die UWG IFI die Anhebung von Parkgebühren im Innenstadtbereich bei gleichzeitiger Einführung der sogenannten Brötchentaste ebenso mitgetragen wie eine Erhöhung von Vergnügungssteuer und Hundesteuer und die Einführung einer Kampfhundabgabe. Neben der grundsätzlichen Kritik am mangelnden Sparwillen bleibt für uns als zusätzliches K.O.-Kriterium angesichts der beispielhaft genannten nicht ausgeschöpften Verbesserungsmöglichkeiten die weitere Anhebung von Gewerbesteuer und Grundsteuer B. Deshalb ist der Haushalt 2024 insgesamt für die UWG IFI nicht zustimmungsfähig.

Hans-Peter Scheuer
Vorsitzender

Friedel Beckmann
stellv. Vorsitzender