
Stellungnahme zum Haushaltsplanentwurf 2023
Christoph Boll, Fraktionsvorsitzender der UWG IFI
Liebe Kolleginnen und Kollegen des Stadtrates,
geschätzte Damen und Herren,
sehr geehrter Bürgermeister Dr. Schrameyer,
jahreszeitlich wäre nun eine Büttenrede angebracht. Doch unsere Haushaltslage ist mehr zum Weinen als zum Scherzen und Lachen. Die fetten Jahre sind vorbei. Verzicht ist angesagt, was ja zur bevorstehenden Fastenzeit passt. Das Leben in Ibbenbüren wird für die Bürger deutlich teurer. Gebühren- und Steuererhöhungen auf breiter Front. Vergnügungssteuer, Hundesteuer, Grund- und Gewerbesteuer – überall ein kräftiger Zuschlag.
Gehen wir vom Haushaltsentwurf aus, dann haben wir in den Jahren 2022 bis 2026 ein Defizit von knapp 55 Millionen Euro und damit einen vollständigen Verzehr der immensen Ausgleichsrücklage, die vor rund einem Jahr noch fast 42 Millionen Euro betrug. Dabei tauchen die Kosten der Corona-Pandemie und der Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nicht – noch nicht – einmal auf. Das sind in Summe 15 Millionen Euro, die schlicht ausgeblendet werden. Aber auch das holt uns noch ein. Es sind Schulden, die in die Zukunft vertagt sind, die unsere Kinder und Enkel bezahlen müssen. Letztlich ist das – wie der konsumtive Verzehr der Schulpauschale, der im Etatentwurf vorgesehen ist – ein eklatanter Verstoß gegen die Generationengerechtigkeit.
Hinzu kommt die immer weiter um sich greifende Unart von Schattenhaushalten durch das Auslagern von Aufgaben. Kaum ein Ratsmitglied geschweige denn ein Bürger kann nachvollziehen, wo da Erträge sind oder wieviel Geld dort versenkt wird. Ich nenne nur die Stadtwerke, die mit immer neuen Aufgaben und entsprechenden Geldzuwendungen beatmet werden. Diese Intransparenz und dieses Leben zu Lasten und auf Kosten künftiger Generationen ist ein finanzpolitisches Gebahren, das die UWG IFI ablehnt.
Am Rande: Von den Prognosen und Versprechungen, mit denen die Stadtwerke gegründet wurden, sind wir meilenweit entfernt. Für den Netzbetrieb und den Vertrieb von Strom und Gas wurden 2014 Geschäftsergebnisse errechnet, nach denen unserem städtischen Haushalt in diesem Jahr inflationsbereinigt Gewinnausschüttungen in Millionenhöhe zufließen sollten. Tatsächlich wird die Gewinnabführung der Stadtwerke exakt 0 Euro betragen.
Natürlich lassen sich Verantwortliche für die missliche Lage benennen. Oder muss man schon desaströse Lage Ibbenbürens sagen? Das Land, der Landschaftsverband, der Kreis werden schnell angeführt – und natürlich die multiplen widrigen Umstände.
Durch die Änderung des Gemeindefinanzierungsgesetzes hat die damalige SPD-geführte Landesregierung mit der Neubewertung des Soziallastenansatzes eine riesige Umverteilung eingeleitet. Die Gewinner waren und sind in erster Linie die Ruhrgebietsstädte, die Verlierer sind die Kommunen des kreisangehörigen Raumes und damit auch unsere Stadt. Und wenn ich eben sagte die damalige SPD-geführte Landesregierung habe das zu verantworten, dann sei ergänzt, die christliche-liberale Nachfolgerin hat es nicht geändert und die jetzige schwarz-grüne Regierung wird das auch nicht ändern. Daraus folgt: SPD, CDU, FDP und Grüne sind
sich auf Landesebene völlig einig, die Städte und Gemeinden besonders im ländlichen Raum ausbluten zu lassen. Notwendig ist seit langem eine insgesamt bessere Finanzausstattung der Städte und Gemeinden.
Zu den in allen Etatberatungen immer wieder angeführten Personalkosten nur so viel: Sie sind in Ibbenbüren seit 2015, dem Jahr, das ein markanter finanzpolitischer Wendepunkt für die NRW-Kommunen war, deutlich gestiegen, nämlich um ein Drittel auf 34 Millionen Euro. Und wenn man sich ehrlich macht, ist das nur ein Teil der Wahrheit. Denn faktisch haben wir doch Stellen aus der Verwaltung ausgelagert, indem Dritte notwendige Aufgaben wahrnehmen und die Stadt dafür die Personalkosten finanziert, ich nenne beispielhaft das Stadtmarketing.
Den Letzten beißen die Hunde. Und die Letzten, das sind die Bürger. Denen ist übrigens völlig egal, wer ihnen ins Portemonnaie greift: Bund, Land, LWL, Kreis oder Stadt – der Bürger steht als Gebühren- und Steuerzahler am Ende der Nahrungskette und muss in jedem Fall bezahlen. Wir können über die Bösewichte andernorts prima schimpfen. Das gibt vielleicht seelische Befreiung. Aber es hilft uns keinen Schritt weiter. Unsere Aufgabe als Rat und Verwaltung ist es, mit den Gegebenheiten umzugehen, sich auf sie einzustellen, zumal wenn sie bereits solange währen wie die GFG-Reform.
Hier und heute geht es deshalb um die eigene Verantwortlichkeit, um das, was wir direkt beeinflussen können. Die Zahlen sprechen eine klare, nüchterne und emotionslose Sprache. Die Gewerbesteuer-Einnahmen für das Haushaltsjahr 2023 sind im Etatentwurf mit 37,6 Millionen Euro angesetzt. Das ist nahezu eine Verdoppelung seit 2015, dem Jahr, als die wirklich beklagenswerte Entwicklung der Schlüsselzuweisungen begann. Überhaupt hat sich das gesamte städtische Steueraufkommen gut entwickelt. Die gesamten Erträge sind seit 2012 von rund 100 auf 140 Millionen Euro gestiegen. Aber – und da liegt der Hase im Pfeffer
– die Aufwendungen sind im selben Zeitraum von etwa 100 auf 167 Millionen Euro geklettert. Das heißt, wo 2012 noch halbwegs ein Gleichgewicht bestand, da klafft heute ein Loch von gut 20 Millionen Euro. Natürlich zeitigen Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg schlimme Folgen.
Aber klar gesagt: Wir leben nicht nur in einer schwierigen Zeit, sondern auch seit geraumer Zeit deutlich über unsere Verhältnisse.
Nun rächen sich die Fehlentscheidungen der Vergangenheit. Beispielhaft nenne ich nur das viel zu späte Umrüsten der Straßenbeleuchtung auf LED und das Festhalten an drei Bädern. Eine 20 Jahre dauernde Diskussion, die uns in den zwei Jahrzehnten einen Zuschussbetrag zwischen 25 und 30 Millionen Euro gekostet hat.
Verantwortlich ist neben den Ratsfraktionen, die die entsprechenden Haushalte verabschiedet haben, in erster Linie der jeweilige Bürgermeister als Chef der Verwaltung. Das gilt auch für Dr. Schrameyer während seiner Amtszeit. Es reicht nicht, in die Kameras zu lächeln, wenn Wohltaten präsentiert werden, die im Übrigen in aller Regel immer Geld gekostet haben und künftig weiteres kosten werden. Geschenke und Schecks überreichen ist leicht. Da ist man gern gesehen. Mit Sparen macht man sich keine Freunde. Was nicht geht, ist, sich mal als der liebe Präsente-Onkel zu gerieren und andererseits seine Hände in Unschuld zu waschen und
auf Ratsbeschlüsse zu verweisen, wenn es nichts mehr zu verteilen gibt.
Ein Bürgermeister muss schon auch den Kopf hinhalten, wenn es unangenehmer und die Luft dünner wird. Das gilt umso mehr als Dr. Schrameyer selbst in einer früheren Rede zum Haushalt gefordert hat, ich zitiere: „Ibbenbüren braucht eine Diskussion über Strukturen und Standards, über Werte und Wertigkeiten.“ Solche grundlegenden politischen Entscheidungen – und vor allem deren Umsetzungen – hat es leider nicht gegeben. Es ist wohl wie der olle Marx gesagt hat: Das Sein verändert das Bewusstsein. Denn zum Zeitpunkt der zitierten Rede war Dr. Schrameyer einfach noch nicht Bürgermeister. Als er es war, hat er das Thema nicht
mehr angefasst. Nun ist es zwangsweise soweit. Denn jedem Wohl und keinem Wehe, das funktioniert nicht mehr. Der Etatentwurf 2023 und auch der Blick in die nähere Zukunft zeigen uns ein düsteres Bild. Dabei müssen wir schon fast froh sein, wenn es nicht noch schlimmer kommt. Denn das Zahlenwerk ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Herr Burlage hat als Kämmerer bei der Etateinbringung darauf verwiesen.
Da mutet es geradezu als frecher Witz an, der Öffentlichkeit Euro-genau in den Vorlagen mitzuteilen, was die Bearbeitung von Anträgen der Ratsfraktionen gekostet hat. Da klingt doch – und ich frage: gewollt? – das Motto mit: Da könnt ihr mal sehen, welche Unsummen an unnötigen Ausgaben die mit ihren Anfragen und Anträgen verursachen.
Mich würde interessieren, was eigentlich die Ermittlung dieser Kosten kostet. Und einen Deckungsvorschlag für die von den Ratsfraktionen so unbotmäßig verursachten Ausgaben habe ich auch: Wenn zu Foto- und Presseterminen nicht so oft drei oder gar noch mehr hochbezahlte Ratshaus-Mitarbeiter erscheinen, bleibt sogar noch Geld übrig zur Bearbeitung von Fraktionsanträgen. Denn die Arbeitszeit für das Lächeln in die Kameras kostet auch. In Summe ist da bei drei oder vier städtischen Bediensteten schnell ein ganzer Arbeitstag futsch.
Die UWG IFI könnte es sich einfach machen, nach der Devise „Andere haben den Karren in den Dreck gefahren, sollen sie ihn auch wieder herausziehen“. Doch wir benennen zwar klar Ursachen und Verantwortlichkeiten für die städtischen Finanzprobleme, aber wir bieten ausdrücklich unsere konstruktive Mitwirkung an deren Lösung an. Denn Ibbenbüren soll auch weiterhin eine lebenswerte Stadt zum Wohnen und Arbeiten sein, ein attraktiver Unternehmensstandort. Wir wollen ein offenes Ohr haben für die Bedürfnisse von Bürgern und Neuankömmlingen mit einem liberalen und weltoffenen Klima und einer sozialen Bürgergesellschaft.
Weiter steigende Zinsen und allgemeine Kostensteigerungen zwingen uns, das Investitionsprogramm auf den Prüfstand zu stellen und Prioritäten zu setzen. Sonst werden uns Abschreibungen und Zinslast erdrücken. Wenn ich von Prioritäten spreche, meine ich
damit zum Beispiel, dass eine öffentliche Toilette in der Stadt dringender benötigt wird, als Schwalbenhotels, die dann auch noch dort aufgestellt wurden, wo die Schwalben genügend vorhandene Nistmöglichkeiten in Schierloh finden.
Dringend gilt es einem Ausbluten der Innenstadt entgegenzuwirken. Zusehends gerät der dort beheimatete Einzelhandel in eine schwierige Situation. Wir sehen immer mehr Leerstände. Für die UWG IFI verbietet sich deshalb jede Aufweichung des Zentrenkonzepts über das Tangentenviereck hinaus. Schon die Nordstadtarkaden waren ein Sündenfall. Er darf sich nicht wiederholen. Wir hoffen auf den Erfolg des „Notprogramms Innenstadt“. Aber mittelfristig wird sich das Gesicht des Zentrums ändern. Es bedarf dringend eines Handlungskonzeptes, das diesen Prozess über den Einzelhandel hinaus steuert und gestaltet.
Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum für Bürger mit durchschnittlichem Einkommen, auch und gerade zentrumsnah und jenseits des klassischen Einfamilienhauses, ist eine weitere Notwendigkeit. Der zweite Bauabschnitt von „Wohnen am Aasee“ ist ein gutes Signal.
Aber wenn neue Eigentumswohnungen in unserer Stadt inzwischen fast 4000 Euro pro Quadratmeter kosten und Mietpreise von rund 12 Euro je Quadratmeter aufgerufen werden, dann mag das Marktwirtschaft sein. Wer das betont, vergisst, dass wir in Deutschland eine soziale Marktwirtschaft haben. Die Kehrseite spiegelt sich in immer größeren Sozialetats.
Jenseits dieser abstrakten Zahlen hat die Armut in Ibbenbüren ein Gesicht, nein viele, zu viele Gesichter. Gehen Sie einmal zur Tafel, dann sehen Sie einige dieser Gesichter. Es ist blamabel für unsere reiche Zivilgesellschaft, dass die Ibbenbürener Tafel die immense
Nachfrage nicht befriedigen kann und bedürftige Menschen abweisen muss. Sie finden in uns auch jederzeit einen aktiven Mitstreiter für die Anliegen unserer Jugend, für eine zeitgemäße und zukunftsgerichtete Schullandschaft, moderne Ausbildungs- und Arbeitsplätze.
Ich lege bewusst den Finger in die Wunde und überlasse die Lobhudelei anderen. Gleichwohl nenne ich abschließend beispielhaft auch Lichtblicke und Gründe für Hoffnung und Zuversicht:
Da sind die Gewerbeansiedlungen und die Konversion des ehemaligen Zechengeländes, mit der Perspektive auf einen Hochschulstandort sowie ein Gründer- und Innovationszentrum. Da ist die Eröffnung des Hospizhauses Tecklenburger Land und die Entwicklung rund um den Aasee. An diesem Punkt lobe ich ausdrücklich die Verwaltung mit dem Bürgermeister an der Spitze und die Geschlossenheit im Rat. Diese Themenfelder haben alle miteinander bislang gut gemanagt.
Die UWG IFI dankt allen Mitarbeitern der Stadtverwaltung für ihr Engagement in einer schwierigen Zeit. Sie setzen sich zusammen mit dem Rat beständig für die Bürger ein. Ein besonderer Dank gilt jenen, die an der Aufstellung des Haushaltsplans beteiligt waren oder uns im politischen Ehrenamt unterstützen. Den anderen Fraktionen gilt unser Dank für einen vielfach konstruktiven Dialog.
Zusammengefasst: Der vorliegende Haushaltsentwurf offenbart die eklatanten Finanzprobleme unserer Stadt. Die nachträglich vom Bürgermeister vorgeschlagenen Gebühren- und Steuererhöhungen lindern nur Sorgen. Sie sind sicher in der aktuellen, auch
durch eigenes Versagen entstandenen Situation notwendig, um Schlimmeres zu verhindern. Ob in dieser Höhe sei dahingestellt. Besonders weh tut dabei die Anhebung der Grundsteuer B. Sie greift jedem Bürger, ob Immobilieneigentümer oder Mieter, der gegenwärtig sowieso von allen Seiten belastet wird, in die Tasche. Daran ändert auch nichts, dass die Erhöhung in zwei Schritten erfolgen soll. Nach sechs Jahren darf man sicher auch mal die Abgaben anheben. Das kann aber nur ein kleiner Beitrag zu einer dauerhaften strukturellen Verbesserung sein.
Das ist die eigentliche vor uns liegende Aufgabe. Denn mit den vorgeschlagenen Nachbesserungen zum Etatentwurf wird einseitig die Einnahmeseite betont, die Ausgabenbegrenzung aber vernachlässigt. Das ist für die UWG IFI nicht zustimmungsfähig.